Indien übt durch seine Religion und Kultur eine große Anziehungskraft aus. Darüber ist schon viel geschrieben worden, wir wollen den Beschreibungen der Highlights der Sehenswürdigkeiten in Agra und Rajasthan nicht eine weitere hinzufügen. Wer über die einzelnen Sehenswürdigkeiten Hintergrundinformationen lesen will, findet Vieles im Internet.
Bei der Vorbereitung der Reise haben wir versucht unsere Vorstellungen von Menschenrechten, unsere christliche Prägung, unsere Vorstellungen von Wohlstand und Armut und unsere emanzipatorischen Vorstellungen zu Hause zu lassen, um das Gesehene und Erlebte nicht zu beurteilen und möglichst frei vom westlichen Wertekanon erleben zu können. Mit diesem Vorsatz und dem Wissen, dass dies nicht vollständig gelingen kann, haben wir die Rundreise angetreten.
Wir erlebten auf einer Privatreise mit Fahrer und Guide Nordindien. Unsere Reise begann in der Millionenstadt New Delhi (11 Millionen Einwohner) mit den mit anderen Metropolen dieser Welt verwechselbaren Angeboten, mit einer hohen Luftverschmutzung, einem Verkehr nahe am Kollaps, der aber dann doch nicht stattfindet. Das Regierungsviertel ist durch Kolonialbauten geprägt und vermittelt einen imperialen Anspruch, die Viertel mit verslumten Bewohnern liegen neben den in der Mogulzeit erstandenen prächtigen Bauwerken mitten in gepflegten Parkanlagen und vielen Bäumen.
Die Engländer haben den Indern neben Infrastruktur das Prinzip der Gewaltenteilung hinterlassen, das Land auch ausgebeutet und Kriege geführt, ihnen aber auch den Weg zur Demokratie geebnet. Allerdings haben sie ihnen auch eine Bürokratie beschert, die die Inder wahrlich perfektioniert haben. Wir hatten den Eindruck, dass alles was kompliziert zu machen ist, auch kompliziert gemacht wird, von den Kontrollen an den Flughäfen nicht zu sprechen.
Der erste Eindruck einer indischen Millionenstadt, den wir schon bei einer früheren Reise in Mumbai gewinnen konnten, bestätigte sich hier: Menschen über Menschen, dichtester Verkehr, Schönheit neben Elend, westliche Einflüsse neben archaischen Lebensmodellen, Werbung und Glitzerwelt neben für westliche Augen unvorstellbaren Dreck, Müll und verslumten Bewohnern. Wir sahen im Bundesstaat Uttar Pradesh, in dem 199 Millionen Menschen mit ca. 800 Menschen pro qkm, der höchsten Bevölkerungsdichte Indiens, leben, die Stadt Agra (1,5 Millionen Einwohner) und bereisten den Bundesstaat Rajasthan. Wir besuchten ein Land mit 1,2 Milliarden Menschen und einer Lebenserwartung von ca. 64 Jahren. In Rajasthan erlebten wir Jaipur (3 Millionen Einwohner, die gleiche Größenordnung wie Berlin) und Jodphur (1 Million Einwohner). Im Bundesstaat Rajasthan, der ungefähr so groß ist wie Deutschland und auch die ähnliche Bevölkerungsdichte von ca. 200 Menschen pro qkm aufweist - allerdings mit ca. 40 Prozent Wüste -, fuhren wir ca. 1.600 km, in Uttar Pradesh 250 km. Allein diese Größenordnungen zeigen schon die Unmöglichkeit Indien auf einer Reise voll zu erfassen. Unsere Privatreise hat uns aber ermöglicht einen Zipfel dieses faszinierenden Landes zu sehen, intensiv zu erleben und anzufangen zu verstehen, was die Faszination ausmacht.
In Nordindien überwiegen außerhalb der Städte weite landwirtschaftlich genutzte Flächen mit lockerem Baumbestand bis hin zu ariden Gebieten, die dann im Norden und an der Grenze zu Pakistan in Dornensteppe und Wüstengebiete übergehen. Diese Veränderung der Landschaft vollzog sich sukzessive war aber auf der Fahrt von Jaipur nach Bikaner gut zu sehen. Eine Ausnahme bildet die Aravalli Gebirgskette, die früher voll bewaldet war, heute jedoch wegen der intensiven Nutzung einen gelichteten Baumbestand aufweist und die wir auf der Fahrt nach Jodphur, Deogarh und schließlich Udaipur sahen. Auf einer aus der Kolonialzeit stammender Eisenbahnstrecke mit altem Stellwerk und Kurbeltelefon sind wir mit einem offenen Zug von Phulad nach Kamlighat über Brücken und durch Tunnel durch die Berge gefahren, begleitet von lärmenden Affen, die an der Strecke sitzen und auf die Fütterung aus dem langsam fahrenden Zug warten und von Vögeln, vielen Vögeln. Ein Video gibt einen lebendigen Eindruck dieser Fahrt.
Die Nationalparks, die wohl die einzigen nicht genutzten Flächen in Indien sind, haben wir nicht besuchen können. Der Reichtum des Landes an Bodenschätzen wie Kupfer, Zink, Blei und Wolfram, Kalkstein, Dolomit, Steatit, Sandstein, Gips, Granit, Glimmer und Edelsteine war im Vorbeifahren nicht zu sehen, aber die vielen Tonvorkommen, die an Ort und Stelle ausgegraben und zu Ziegeln geformt und gebrannt werden und die vielen Sandstein- und Marmorbrüche waren unübersehbar. In den Tongruben blieben oft durch einen Baum gekrönte abenteuerliche Türme stehen, die entstanden weil der Ton rundherum abgegraben und der Baum stehen bleiben sollte. Die vielen Lastwagen schienen alle mindestens bis an die Grenze der Belastbarkeit beladen, bei dem einen oder anderen konnten wir uns nicht vorstellen, wieso die Ladung stabil blieb.
Diese Lastwagen waren auch die einzigen, die wir im Straßengraben umgekippt oder an Anstiegen gescheitert, gesehen haben. Auf der ganzen Strecke sahen wir keinen einzigen Unfall, obwohl Verkehrsregeln in unserem Sinne nicht beachtet, in den Städten sich ein Gewusel von Autos, Motorrädern, TucTucs, Karren, Tieren und Menschen quer durcheinander entfaltet und sich erstaunlicherweise immer wieder auflöst. Die Ansiedlungen, durch die wir fuhren, boten an den Rändern der Durchfahrtsstraßen kleine Geschäfte für alle Bedürfnisse des Alltags, überall eine Vielzahl von Karren, Marktständen für Gemüse und Früchte, Tieren, Kamel- und Eselskarren zwischen vielen Menschen, Kühen, Ziegen, Schafen und Hunden. Alles war friedlich, jeder nahm Rücksicht, manchmal passte nur ein Stück Papier zwischen die einzelnen Verkehrsteilnehmer aber es passierte nichts. Insbesondere die Kühe, die mit stoischer Ruhe ihren Platz beanspruchen, wo immer sie beschlossen hatten zu stehen oder zu liegen, erforderten teilweise aberwitzige Ausweichmanöver.
Die Vielzahl der Tiere als Teil des Lebens war ein dominanter Eindruck, der uns die ganze Reise über begleitete und den wir in anderen Ländern noch niemals in dieser Intensität und Vielfalt erlebt haben: die große Anzahl der Tiere und Vögel, mitten in den Städten. Schwärme von Vögeln, die über der Stadt kreisen, Vögel in der Landschaft überall, Vögel inmitten des allgegenwärtigen Gewusels. Nektarvögel, die an blühenden Bäumen in Scharen sitzen, purpurn glänzend und schwirrend, Spechte mit roten und gelben Gefieder, farbenfrohe „treepies“, Vögel der Familie der Rabenvögel laut rufend, Eisvögel, riesige Schwärme von Schwarzmilanen und unzählige andere. Ziegen, Schafe, Kamele, Esel und Hunde sind überall zu sehen, Büffel und eben die Kühe, meistens Zeburinder, laufen überall herum, selbst Schweine gibt es. Auch sie werden nicht gegessen sondern sind einfach da. Sie sind nicht angebunden. Höchstens bei den Ziegen, Schafen und Kamelen sieht man manchmal einen Hirten. Hunde, haben, so haben wir es erlebt, kein respektiertes Leben sondern werden nur geduldet. Katzen sieht man nicht, sie werden, wenn überhaupt, im Haus gehalten. Jeder weiß, dass die Kühe in Indien eine Sonderstellung einnehmen, aber diese stoischen Tiere, die ihre Freiheit offensichtlich nutzen und ihre Stellung in der Kultur kennen, haben uns tief berührt. Den viel zitierten Begriff der „glücklichen Kuh“ fanden wir hier in seinem ursprünglichen Sinn bestätigt. Die Tiere werden gemolken und auch gefüttert und es gibt überall Wasserstellen, an denen sie sich bedienen können.
Ein Land, in dem der Verzehr von Rindfleisch verboten ist und die Mehrzahl der Menschen Vegetarier sind, geht anders mit seinen Tieren um und scheint, auch wenn man esoterische Ansichten nicht teilt, eine andere energetische Ausstrahlung zu haben. Dieses Gefühl der Einschätzung des Tieres als Mitgeschöpf hat uns während der ganzen Reise begleitet und tief bewegt.
Der Hinduismus, dem 80 Prozent der Inder angehören, liefert mit der Vorstellung der Wiedergeburt alles Lebendigen die Grundlage des Respekts vor dem Tier, aber auch die Grundlage für das Kastensystem, das die indische Gesellschaft tief prägt. 16 Prozent der indischen Bevölkerung werden der Kaste der „Unberührbaren“, 8 Prozent der Stammesbevölkerung (den Tribes) zugeordnet. Beide werden dem unterprivilegierten Teil der Gesellschaft zugerechnet und sozial stark diskriminiert. In der Verfassung werden diese Gruppen durch Quoten gefördert, soziale Programme mit ihren Bildungsangeboten, auch in den ländlichen Gebieten, versuchen die Durchlässigkeit der Kasten zu fördern, haben aber in der traditionellen Gesellschaft zusammen mit den Bestrebungen zur Besserstellung der Frauen (von Gleichstellung kann noch lange keine Rede sein …) immer noch wenig Erfolg und sind politisch stark umstritten.
Im Umgang der Menschen, die verschiedenen Kasten angehören, erscheint der Unterschied lebendig und auch für Außenstehende greifbar. Für einen Brahmanen ist ein „Unberührbarer“ kein Gesprächspartner. Das „Unten“ und „Oben“ in der Gesellschaft ist klar geregelt, genauso wie die Stellung der Frau. Selbst im Sonderfall von im Umgang mit westlichen Touristen ausgebildeten Hotelangestellten, wird der Kontakt mit dem männlichen Touristen vorgezogen. Eine Touristin wird nur angesprochen wenn es denn gar nicht anders geht. Das mag in internationalen Hotels in den Städten nicht so deutlich sein, in Rajasthan ist es uns überall begegnet.
In gebildeten, urban geprägten Kreisen wird die Veränderung der traditionellen Lebensweise in der Großfamilie zu sehen sein, denn es gibt viele gut ausgebildete und kluge Männer und Frauen in Indien, die die Probleme ihres Landes analysieren und Lösungswege aufzeigen. Aber das Land ist groß, agrarisch geprägt, die religiöse und traditionelle Bindung ist stark und die flächendeckende Bildung aller Schichten insbesondere der Mädchen sowohl in den ländlichen Regionen als auch in den verslumten Millionenstädten steht noch am Anfang. Genauso wie der Widerstand gegen den Verlust von Privilegien, die bei Änderungen nun mal auftreten. Teilen bedeutet auch, dass der, der über mehr Macht verfügt, etwas abgeben muss. Das gilt natürlich auch für die Verhältnisse in den Großfamilien.
Aber unsere emanzipatorischen Ansprüche hatten wir ja zu Hause gelassen …
So nahmen wir ohne Bewertung wahr, wie im agrarisch geprägten Rajasthan die Hauptlast der Versorgung der Familie und die Arbeit auf dem Feld den Frauen auferlegt ist. Sie spielen die Hauptrolle bei der Verbesserung der Impfquote zum Beispiel gegen Polio in den Dörfern, bei der Vermittlung von Wissen zur Geburtenkontrolle, hygienischen Maßnahmen und der Erziehung der Kinder. Glücklicherweise geht die Geburtenzahl auch auf dem Land durch die Aufklärungsprogramme zurück, die medizinische Versorgung ist immer noch schlecht und die Ernährungslage wird durch die Regenmenge des Monsuns bestimmt. Öffentliche Schulen gibt es, wenn auch nicht alle Eltern, insbesondere die ganz Armen, ihre Kinder zur Schule schicken, sondern lieber zum Betteln. „Easy Money“ nannte das unser Guide.
Wenn man sich in Indien umsieht, fällt auf, dass sehr viel mehr junge Männer zu sehen sind als junge Frauen. Das liegt leider daran, dass das die Familien männlichen Nachwuchs bevorzugen. Das wird – ganz modern – durch pränatale Geschlechtsbestimmung und nachfolgende Abtreibung, oder altertümlich durch Tötung des weiblichen Nachwuchses erreicht, was natürlich verboten ist, aber immer noch stattfindet. Das gelebte Familienmodell ist die Großfamilie, die Söhne bleiben in der Familie, die Mädchen wechseln in die Familie des Mannes. Hat eine Familie Mädchen, verliert sie deren Arbeitskraft und damit ihre Versorgung fürs Alter, da ein Sozialsystem westlicher Prägung nur für die Staatsbeamten existiert, alle anderen müssen die Altersvorsorge auf freiwilliger Basis leisten. Das ist natürlich nur für die Besserverdienenden der Gesellschaft möglich, alle anderen sind auf die Versorgung durch die Familie angewiesen und da spielen die Frauen die entscheidende Rolle. Allerdings wird dieses Modell genauso wie in westlichen Gesellschaften in dem Maße Veränderung erfahren, wie sich die Rolle der Frau von der rechtlosen Familienarbeiterin und Arbeiterin in eine gebildete Arbeitnehmerin mit eigenem Einkommen verändern wird.
Das wird noch mehrere Generationen dauern, da auch das Modell der von der Familie vermittelten Heirat innerhalb der gleichen Kaste mit allen gesellschaftlichen Regeln wie der Prüfung der Übereinstimmung der Horoskope, der Auftritt des Heiratsvermittlers, die Verhandlungen mit der Brautfamilie über die Mitgift, die teilweise astronomische Höhen erreicht und zum Ruin von Familien führen kann, sich mit der Stärkung der Frauenrolle verändern wird.
Das Steuersystem Indiens unterscheidet in der Besteuerung von Fraueneinkommen und Männereinkommen in der untersten Einkommenskategorie um Frauenarbeit zu fördern. Das gilt nicht mehr, wenn Frauen mehr verdienen. Es könnte sein, dass dies den Weg in eine Stärkung der Frauen ebnet wie wir davon überzeugt sind, dass diese paradigmatische Veränderung nur aus der Gesellschaft heraus und nicht von außen verändert werden kann.
Die Missachtung der Frau, die sich auch aktuell an den Vergewaltigungen zeigt, liegt tief in der Entwicklung der patriarchalischen Gesellschaft Indiens verankert, verstärkt durch den Einfluss der islamischen Gesellschaften, die durch die Mogulherrschaft bis zur Mitte des 19. Jahrhundert andauerten. Die prägenden Erscheinungen sind trotzdem die indischen Frauen, die durch ihre farbenfrohe Kleidung überall auffallen und sozusagen das Land „erleuchten“. Sie strahlen eine solche Grazie und Würde aus, dass man eigentlich meinen müsste, sie seien die eigentlichen Mächtigen im Land.
Nach dieser Reise zudem noch in einer Zeit, in der die Temperatur noch angenehm war, glaube ich nicht mehr, dass der Schleier und die Tücher dem Zweck dienen Frauen vor Männerblicken zu verhüllen, sondern bin fest davon überzeugt, dass sie vor allem den Zweck haben, den Dreck und den Sand, dem sie durch den Wind ständig ausgesetzt sind, zumindest von den Haaren fernzuhalten. Diese Verschleierung ist nicht in ganz Indien üblich, nicht jede Frau, die einen Sari trägt, trägt auch einen Schleier. Sie sind nicht vergleichbar mit der moslemischen schwarzen Verschleierung. Außerdem sind die Schleier auch noch ein nicht zu unterschätzender Sonnenschutz, unterstreichen die Grazie der Frauen und komplettieren die Kleidung zu einem farblichen Kunstwerk. Wie viel Sorgfalt sie darauf verwenden haben wir mitten im Basar in Bikaner erlebt, wo ich mir habe einen Schleier nähen lassen. Die Händler im Bazar sind übrigens vorwiegend Männer. Die Frauen sitzen stundenlang im Laden und wählen aus, Berge von verschiedenen Saris in allen Farben und die dazu passenden Schleier werden verglichen und zusammengestellt. Die Frauen tun das nicht allein sondern kommen in Gruppen und suchen und wählen aus mit viel Vergnügen, Inbrunst und Freude. Diese Lebensfreude steht für eine Leichtigkeit des Lebens, die wir an Indien gemeinhin so anziehend finden.
In Indien einzukaufen ist nicht so einfach wie man sich das vorstellt. Es gilt die passenden Geschäfte zu finden, die von seriösen Händlern geführt werden und nicht minderwertige Ware an Touristen verkaufen. Dabei haben wir uns auf unseren Guide verlassen, der uns zum Beispiel einem Stoffhändel und Produzenten vorstellte, der die Globalisierung voll im Griff hat und für französische und italienische Luxusmarken produziert. Qualität und Muster waren diesem Anspruch entsprechend und wir bekamen eine Ahnung davon, wo und wie Luxuswarenhersteller zu welchen Preisen in Indien produzieren lassen. Der Händler hatte allerdings auch schon die europäische Hektik verinnerlicht und war nach einer kurzen Einführung seiner Produkte ins nächste Meeting verschwunden.
Der eigentlich sinnenfrohe Hinduismus hatte aber niemals die Freiheit der Frau zum Thema, sie war niemals gleichberechtigte Partnerin. Im hinduistischen Gesetzbuch Manus steht, dass die Frau ihr Leben lang einem Mann untertan zu sein hat, zuerst ihrem Vater, später dann ihrem Ehemann und Sohn. Als Witwe war sie rechtlos.
Der Brauch der Witwenverbrennung entstand ab ca. 700 n.Chr., es gibt verschiedenen Quellen dafür, eine der ältesten religiösen Legitimationen stammt wahrscheinlich aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. Frauen, die Sati begingen, wurden in hohen Ehren gehalten und teilweise göttlich verehrt, ihre Familie gewann hohes Ansehen. Ab Ende des 16. Jahrhunderts breitete sich die Witwenverbrennung – Sati – besonders im Raum von Rajasthan aus und wurde bei den Rajputen immer beliebter. Die Rajputen waren sehr kriegerische Stämme, die nicht nur gegen die moslemische Mogulherrschaft kämpften sondern auch blutige Stammesfehden untereinander führten. Eine interessante Erklärung für das Aufblühen des Sati Rituals, besonders in Rajasthan ist, dass aufgrund der ständigen Kriege viele junge Männer ums Leben kamen und deren junge Witwen eine Gefahr für die moralische Stabilität der Gesellschaft darstellten. Mit Sati entledigte man sich ihrer. Bei den Moslems wurden zum Abbau eines kriegsbedingten Frauenüberschusses polygame Ehen eingeführt. Ende des 18. Jahrhunderts war die Witwenverbrennung bereits so weit verbreitet, dass sie zumindest in Königshäusern verpflichtend war. 1953 verbrannte in Jodhpur die letzte Sati aus dem Königshaus, 1987 eine 18-jährige Witwe, weitere Verbrennungen auch in jüngerer Zeit sind dokumentiert. Die Verbrennungen sind zwar verboten, aber kommen immer noch vor, da traditionell diese Frauen verherrlicht werden.
Wir besuchten in Jaisalmer einen Verbrennungsplatz für Brahmanen, der höchsten Kaste. Unser Guide erklärte uns wie das vor sich geht: Wenn ein Brahmane – ein Mann - stirbt, muss er innerhalb eines Tages verbrannt werden und zwar nur bei Tageslicht. Damit werden speziell dafür zuständige Mitglieder einer niedrigen Kaste beauftragt, die die Hölzer bevorraten. Sie beherrschen die Technik des Stapels des Scheiterhaufens und wissen um die Bedingungen, die eine genügend hohe Temperatur entstehen lassen. Der Tote wird auf den Scheiterhaufen gebettet und mit Butter übergossen. Der älteste Sohn oder, falls nicht vorhanden, der älteste männliche Verwandte entzündet den Scheiterhaufen. Ist die Verbrennung fortgeschritten, wird von dem Verbrenner mit einem Stock die Schädeldecke des Toten durchstoßen um Verpuffungen zu vermeiden. Bei der Verbrennung sind Frauen nicht zugelassen, „sie wären nicht in der Lage, die Zeremonie ohne Tränen und Wehklagen“ durchzustehen. Danach wird die Asche eingesammelt, es kann auch in einer Plastiktüte sein und bei der nächsten Gelegenheit im Ganges, der Mutter Ganga, verstreut. Diese Aufgabe kann auch ein weibliches Mitglied der Familie übernehmen. Dieses Verstreuen ist nicht mehr zeitkritisch.
Wir hatten die Gelegenheit, ein Dorf jenseits der Touristenströme zu besuchen. Sobald man die Autostraße verlassen hat und eine Zeitlang auf einer Piste unterwegs ist, verblasst sozusagen die Zivilisation in der Ferne. Eine greifbare Stille liegt über dem Land, Unmengen von Vögeln tirilieren und einige Wildtiere wie die große Nilgauantilopen und Hirschziegenantilopen stehen auf den abgeernteten Feldern und äsen. Sie haben zwar ihre Fluchtdistanz, fliehen aber keineswegs panisch, da sie nicht gejagt werden. Näher am Dorf stehen weidende Kühe, Zebus, Ziegen, Schafe und Kamele. Die bebauten Felder sind in der Regel mit Dorngestrüpp eingerahmt um die Tiere fernzuhalten. Ab und zu liegt ein kleines bäuerliches Anwesen einer Großfamilie mit abgetrennten Unterständen für die Tiere, Rundhütten für die Küche, zum Schlafen und andere Verwendungen. Wenn diese Anwesen nicht im Dorf liegen, haben sie eine Zisterne, die zugedeckt wird und aus der das Wasser geschöpft werden kann. Ob und wie die Zisterne durch Wasserlieferungen aufgefüllt wird oder sich durch den Regen füllt, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Die Hütten sind aus Lehm gebaut, klassisch mit Stroh oder ähnlichem gedeckt. Sobald Plastikplanen oder Wellblech verwendet werden, macht das ganze einen ärmlichen Eindruck was bei den konventionellen Hütten keineswegs der Fall ist. Die Menschen sind sehr freundlich und zugewandt, erzählen bereitwillig und sind stolze Landbesitzer, Bauern und Viehzüchter, die im Einklang mit der Natur leben.
Wenn man das Leben in den Dörfern sieht, wähnt man sich als Teilnehmer einer Zeitreise. Zwar gibt es Motorräder, Lastwagen und Autos, manchmal auch stundenweise Elektrizität und Handys, aber gewaschen wird am öffentlichen Waschplatz neben all dem Dreck, getrocknet oft nicht auf einer Leine sondern einfach auf den Boden gelegt, gebügelt wird mit kohlebefeuerten Bügeleisen – die Wäsche wird unheimlich glatt und ordentlich, aber es ist harte Arbeit. Die Hirse, das Hauptnahrungsmittel in den ariden Gegenden im Norden, wird mit dem Stein gemahlen. Gekocht wird oft noch auf Holzfeuern, mit dem Holz, das die Frauen in der Umgebung sammeln und auf dem Kopf heimtragen. Dieser Transport der Behälter auf dem Kopf ringt uns – obwohl schon oft gesehen - immer noch große Bewunderung ab, da es eine perfekte Zentrierung des ganzen Körpers voraussetzt, die uns verloren gegangen ist. Das Wasser wird teilweise auch auf dem Kopf transportiert, wenn es in den Dörfern nur eine öffentliche Wasserstelle gibt und keine Zisternen bei den Häusern existieren. Die Hütten oder Häuser sind sehr sauber und liebevoll gepflegt, die Böden bestehen aus Ton vermischt mit Dung, was eine sehr schöne glatte, haptisch wunderbare und gut sauber zu haltende glatte Fläche ergibt. Zumindest in der Trockenzeit. In etwas weiter entwickelten Dörfern gibt es auch eine Abwasserentsorgung in Sickergruben, die bei uns vor nicht allzu langer Zeit auch noch üblich waren, und die üblichen indischen Toiletten.
Opiumzeremonien werden traditionell von den Männern praktiziert, das Opium wird aber nicht geraucht sondern destilliert mit Wasser verdünnt geschlürft. Handwerk wird ausgeübt wie vor Jahrhunderten, führt aber zu guten Ergebnissen wie zum Beispiel die Töpfer, die in Windeseile auf der ab und zu mit einem Stock angetriebenen Scheibe Gefäße, auch durchaus große, produzieren und sie ohne elektronische Temperatursteuerung einfach aufstapeln mit Kuhfladen zudecken und brennen. Schmiede, die auf dem Boden sitzen, ein kleines Feuerchen mit einem Blasebalg in Gang halten und Messer und Hacken schmieden. Nähen, sticken, weben, spinnen, färben gehören zu den alltäglichen Verrichtungen, die oft am Straßenrand ausgeübt werden.
Die Sauberkeit in den nicht privaten Bereichen ist in kleinen Dörfern etwas besser, sobald die Dörfer größer oder städtischer werden liegt außerhalb der persönlichen Bereiche allerdings alles herum, jeglicher Abfall, viel Plastik, einfach unvorstellbarer Dreck. Die Ausscheidungen der Herbivoren sind dabei noch die angenehmsten. Die Lebensverhältnisse in verslumten Gegenden der Städte sind unbeschreibbar. Niemand fühlt sich verpflichtet, sauber zu machen und die kommunale Verwaltung kommt dieser Aufgabe nicht nach, da die Idee der planmäßigen Müllentsorgung, der Abwasserentsorgung wie auch der Umweltgedanke noch keine Verbreitung gefunden haben.
Die Verschmutzung der wertvollsten Ressource, des Wassers, erscheint uns auch noch nicht wirklich als Problem mit höchster Priorität wahrgenommen. Wenn es weder sauberes Trinkwasser noch Wasser zur Bewässerung der Felder gibt, hungert das Land. Gibt es genug Wasser, ist das Land nahezu unendlich fruchtbar und wenn die Menschen im Einklang mit der Natur die vorhandenen Ressourcen nutzen, ernährt das Land sie. Allerdings ist die Zahl der Menschen der alles dominierende Faktor. Die hereinbrechenden Veränderungen durch die Globalisierung und ökologische Katastrophen sind weitere Faktoren, die das fragile Gleichgewicht stören, die Ernährungslage negativ verändern und die Abwanderung in die Städte fördern, was dort jedoch zu einer vermehrten Verslumung einer völlig verarmten Bevölkerung führt.
Indiens Küche ist für Vegetarier natürlich die Offenbarung. Endlich einmal nicht als Minderheit, für die vielleicht ein oder zwei Gerichte vorgesehen sind, aus dem Vollen schöpfen zu können, ist einfach nur wunderbar. Wegen des für nicht assimilierte Europäer unverträglichen Wassers mussten wir trotzdem auf manches Obst, zum Beispiel Weintrauben, die in verführerischer Menge und Qualität überall angeboten wurden, verzichten und konnten nicht an Straßenständen essen. Wir aßen in den Hotels oder unterwegs in Restaurants, die augenscheinlich auf Touristen eingestellt waren. In den großen Hotels in Delhi konnten wir uns dem Luxus hingeben, aus einem riesigen Buffet indischer Speisen wählen zu können oder im Spezialitätenrestaurant des Hotels zu speisen. Allen Hotels gemeinsam waren Angebote von, wir nannten es „kastriertem“, indischem Essen, bei dem die Menge der Gewürze sehr reduziert war. Das war besonders dann der Fall wenn die Hotels wenig inländische Gäste hatten und sich voll auf Ausländer eingestellt hatten, die zu unserem Entsetzen in einem Land, in dem der Genuss von Rindfleisch verboten ist, blutige Steaks bestellten und mit Pommes Frites verzehrten. Wie wir in Erfahrung brachten, bieten die Hotels solche Gerichte, bei denen es sich nicht um Rindfleisch sondern Büffel handelt an, um die Nachfrage der Gäste zu befriedigen. Wie man Indien erleben kann ohne sich auf das so prägende und typische Element des Essens einzulassen, ist uns allerdings nicht klar. Auf Nachfrage erlebten wir immer wieder wie uns voller Freude ortsüblich gewürztes Essen gebracht wurde, wenn auch manchmal mit sehr verwunderten Augen. Da wir in etlichen Hotels die einzigen oder eine der wenige Gäste waren, konnten wir öfter a la Carte essen, was uns wunderbare kulinarische Erfahrungen beschert hat. Nur in den Hotels in Jaipur und Deogarh war das Essen mäßig bis schlecht. An Verdauungsproblemen litten wir übrigens nicht.
Die meisten Hotels in Rajasthan waren Heritage Hotels, umgebaute Rajputenpaläste mit teilweise liebevoll und spektakulär gestalteten Räumen und Zimmern. „Wohnen wie ein Maharaja“, dieser Slogan gab schon eine leichte Ahnung von dem Prunk und dem Aufwand, der in diesen Palästen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts für diese privilegierten Menschen getrieben wurde. Die Paläste sind teilweise auch heute noch im Besitz der Maharajas und werden als Hotels vermarktet. Am besten und für uns am stimmigsten war das als Hotel umgebaute Fort Chanwa Luni, das Arbeitsplätze für die Menschen des umliegenden Dorfes bietet. Wir waren eine der wenigen Gäste des Hotels und einer der als Security angestellten Männer führte voller Stolz und Begeisterung durch das für indische Verhältnisse sehr saubere und gepflegte Dorf. Er zeigte das Haus seiner eigenen Familie, seine Frau, seine Kinder, seine Onkel und Tanten, sein Vieh und erzählte stolz und selbstbewusst von seinem Leben. Das fühlte sich sehr echt und spontan an, er hatte Freude daran und strahlte. Die Fotos dieses Rundgangs wollte er unbedingt sehen und hat sich riesig gefreut, dass wir sie im Hotel auf den PC kopiert haben, wo die ganze Belegschaft sich alles mehrfach angeschaut hat.
Er und seine Familie haben ihr Auskommen und sind zufrieden mit ihrem Leben. Das Fort, im Besitz des jüngsten Sohnes des Maharaja von Jodphur und seiner Frau haben es so einfühlsam restauriert, dass die Ahnung der vergangenen Zeiten mit ihrer Pracht am greifbarsten war. Morgens wurden wir von den Trommeln des in der Nähe liegenden Tempels geweckt, bei Sonnenuntergang ging ein Zeremonienmeister mit Weihrauch durch die Anlage und wir fühlten, dass wir in Indien in einer anderen Zeit sein könnten. In den anderen Hotels entstand dieses Entrücktheitsgefühl nicht, teilweise durch unsensiblen Umgang, die vielen Kompromisse für Touristen oder die schiere Größe des Anwesens so dass nur der imperiale Anspruch der imposanten Gebäude übrig blieb. Viele der Paläste sind noch im Besitz der ehemaligen Herrscher, etliche von ihnen vermehren als diversifizierte Konzerne ihr Geld auch durch die neue Nutzung des Tourismus.
Auffallend war auf der ganzen Reise die hohe Zahl indischer Touristen, die vielleicht nicht in den teuren Heritage Hotels übernachtet haben aber die Sehenswürdigkeit quasi im Sturm erobern. Beobachten konnten wir auch, dass sie eine große Begeisterung und Bewunderung für die Bauwerke hegen insbesondere wenn nicht der Staat die Anwesen pflegt sondern die ursprünglichen Herrscherfamilien sie vermarkten. Diese Bewunderung für diese herrschende Kaste, deren Reichtum und Lebensumstände auf dem Rücken der vielen Nicht-Privilegierten entstanden ist, hat uns doch sehr erstaunt. Dabei bedenken muss man allerdings, dass es in Indien niemals eine Revolution gegen die Besitzenden gab, nichts im Sinne einer Revolution zur Angleichung der sozialen Verhältnisse. Das können wir nur dadurch erklären, dass das gottgegebene Hineingeborenwerden in eine Klasse weiterhin gesellschaftlicher Konsens ist und nicht hinterfragt und nach Veränderung schreit.
Unsere Erfahrungen auf dieser Reise machten wir auf folgender Route:
Die Route kann online betrachten mit Google-Maps hier betrachtet werden.
Wir begannen unsere Annäherung an die architektonischen Schätze in Delhi und die Bauwerke der Mogulkaiser in Nordindien mit dem Humayun Grabmal, das uns auf das architektonische Konzept des Taj Mahal vorbereitete. Auch hier waren schon die Gestaltungsprinzipien der islamischen Baukunst zu erkennen, wenn gleich der wesentliche Baustoff gelber und roter Sandstein aus Rajasthan war. Beeindruckend die Steininkrustationen und Flechtbandintarsien. Hier begegnete uns zum ersten Mal die von schmalen Wasserkanälen versehene und somit auf den im Koran beschriebenen Paradiesgarten verweisende, geometrisch angelegte Parkanlage im Char-Bagh-Stil. Für uns erhellend sind immer wieder die Verbindungen zwischen den Vorstellung verschiedener Kulturen: der Paradiesgarten im islamischen Kulturkreis, der chinesische Garten mit seiner streng geometrischen aber auch geschlossenen Form, die Himmel und Erde symbolisieren und schließlich der Hortus Conclusus, ebenfalls mit geometrischer Aufteilung, der im Christentum schließlich dem Marienkult zugewiesen wurde. Das Weltkulturerbe Qutb Minar, höchster Turmbau der islamischen Welt, Minarett und Sieges- und Wachturm gilt als frühes Meisterwerk der indo-islamischen Architektur.
In der Jama-Moschee mitten in Alt-Delhi trafen wir auf ein Phänomen, das nicht nur in Indien sondern auch anderswo in der Welt bei uns zu unguten Gefühlen führt, wenn die touristische Vermarktung auf ein Gotteshaus, unabhängig vom Bekenntnis, trifft. Betende neben Touristen, das tut nicht gut. Hier nicht, nicht in dieser Moschee und auch nicht im Jain-Tempel von Ranakpur, der mitten in den Hügeln an wichtigen Wegmarken dieser Religion steht. Er ist aus cremefarbenem Marmor in hinduistischen Architektur gebaut und die Säulen und alle Wandflächen sind mit kleinteiligem Figurenschmuck überzogen. Der Jainismus hat seine Wurzeln im Brahmanismus, der Vorgängerreligion des Hinduismus und eine seine Prinzipien ist, dass alles Stoffliche beseelt ist, nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen oder Wasser. Sie ist eine Minderheitenreligion, der nur 0,4% der Inder angehören. Gandhis Familie praktizierte den Vishnuismus, eine eher monotheistische Form des Hinduismus, die jegliche Gewalt gegen Lebewesen ablehnt. Die religiösen Vorstellungen seiner tief religiösen Mutter waren auch beeinflusst vom Jainismus. Ghandi, dessen Grab wir in Delhi besuchten, wird von der Bevölkerung tief verehrt. Wir besuchten verschiedene hinduistische Tempel zum Beispiel in Bikaner und Udaipur. Sie waren nicht touristisch vermarktet, und wir konnten bei respektvollem und unauffälligem Verhalten die tiefe Religiosität und Spiritualität der Gläubigen, die diesen Tempel besuchen, erspüren.
Volker Gottwald